Presse

Räuber eroberten Herzen

Hessische Allgemeine Fritzlar/Homberg, 08.08.2011

Theatermacher aus Hamburg zeigten Schillers Klassiker

Von Michael Auerbach

Fritzlar. Die Räuber waren los in den Mauern von Fritzlar. Wer erwartet hatte, dass Schüsse knallen, Säbel geschwungen werden und Kunstblut floss, wurde enttäuscht. Dafür blinkte verführerisch bunt ein Geldspielautomat.(…)

Es war ein erregendes, klassisches Schauspiel in modernem Outfit, welches die Theatermacher aus Hamburg unter der Regie von Michael Jurgons lieferten. Da gab es einige spektakuläre, grelle Szenen, in denen die Banditen auch mal hautnah den Zuschauern zwischen Dom und Rathaus auf den Pelz rückten. Und es gab eindringliche und affektgeladene Momente. Schillers emotionale, vitale Sprache beherrschte das Stück und stellte hohe Anforderungen an Darsteller und Zuhörer.(…)

Rasant wechselten die Handlungen hin und her zwischen dem Grafenschloss und dem Dunstkreis der Banditen. Mit Schlagzeug, Ukulele und Akkordeon setzte Michael Reffi Akzente zu den Dialogen. Die Schauspieler bewältigten die Herausforderungen der Rollen mit Bravour, zeigten ihre Kunst, verliehen den gegensätzlichen Charakteren markanten Ausdruck. Gezeichnet von der Anstrengung, aber mit freudigen Gesichtern verbeugten sie sich kurz nach Mitternacht vor dem Publikum. Das war, begeistert von der eindrucksvollen Theaterleistung, aufgestanden und applaudierte stürmisch. Es schien, als hätten die Räuber die Herzen der Zuhörer erobert.


Schillers „Räuber“ in die Neuzeit katapultiert

Neue Osnabrücker Zeitung, 20.09.2010

Theatermacher aus Hamburg überzeugen in Sögel mit zeitloser Parabel über jugendliche Welt- und Lebensentwürfe

Von Roland Quinten

Sögel. Es gibt in Deutschland – nicht nur bei Pädagogen, sondern auch beim kulturell interessierten Publikum – eine stille Übereinkunft darüber, was unter einem „Literatur- Klassiker“ zu verstehen ist, also unter einem Text, sei es ein Gedicht, ein Prosatext oder ein Drama, von dem man überzeugt ist, dass es notwendig und nützlich ist, ihn zu kennen.

Diese Literatur findet sich nicht nur in Lektürekanons kultusministerieller Lehrpläne wieder, sondern gehört zum selbstverständlichen Repertoire von Theaterbühnen. Zu diesen Klassikern gehört auch Schillers erstes Jugendwerk „Die Räuber“, das am Samstagabend in der Aula des Hümmling-Gymnasiums in Sögel von der jungen Theatertruppe der „Theatermacher“ aus Hamburg mit großem Erfolg aufgeführt wurde. Doch Vorsicht! Es ist nicht leicht, einen solchen Klassiker mit reichlich Staub und Patina – Schillers Stück ist immerhin schon 230 Jahre alt – so aufzuführen, dass es nicht nur ältere bildungsbürgerliche Schichten anzusprechen versteht, sondern auch junge Menschen, die so alt sind wie Schiller, als er die „Räuber“ schrieb.

Michael Jurgons, der als Regisseur Schillers Stück mit seinen 13 Schauspielern in die Neuzeit katapultierte, wusste genau, was er tat. Er verzichtete auf jegliche Form von Ideologie oder politischen Konzepten, legte den Schiller’schen Anspruch auf moralische Unterweisung seines Publikums beiseite und konzentrierte sich auf das, was die „Räuber“ tatsächlich zum zeitlosen Theaterstück macht. Seine Inszenierung verkörpert die ungeheure Energie der jungen Generation. Seine Räuber sind weder politisch noch religiös motivierte Terroristen, sondern Getriebene ihrer Leidenschaften. Sie rebellieren gegen die Weltordnung ihrer Väter und verzweifeln an der den Willen Gottes offenbarenden Natur. Sie suchen Glück, Liebe, Anerkennung, Macht und Wahrheit in einer eigenen, von traditionellen Werten losgelösten Welt – und scheitern letztendlich. Durch diesen modernen Fokus macht Jurgons zusammen mit seinem überzeugend agierenden Schauspielerensemble aus dem „Klassiker“ eine zeitlose Parabel über jugendliche Welt- und Lebensentwürfe, die der eigentliche Motor jeder Form von menschlichem Zusammenleben sind.

Das Bühnenbild von Carolin Roider stellte einen ansprechenden Hintergrund für das energetisch hoch aufgeladene, zuweilen bis an die Grenzen des Chaotischen tastenden Bühnenspiels zur Verfügung. Sehr gut gefiel auch die Idee, einzelne Szenen durch hervorragende Schlagzeugsoli zu akzentuieren. Kompliment.


Radiokommentar von Christoph Huppert zur “Räuber Aufführung” in Hameln


Einen Theatervulkan entfacht

Cuxhavener Nachrichten, 20. 11.2009
Riesen-Beifall für Hamburger Theatermacher / Schillers „Räuber“ sind im 21. Jahrhundert angekommen

Von Jens Potschka

CUXHAVEN. Intellektuelle Kraft und Fantasie, eine Sprache voller Elan, Präzision und Wohlklang, einen Sinn für Tragik und für die „großen Gegenstände der Menschheit“ – all das wie auch ein untrügliches Gespür für Bühneneffekte und ein perfektes Timing wurde dem Dramatiker Friedrich Schiller aus berufenem Munde vielfach bestätigt. All das kann sich auch heute noch einem Theaterpublikum mitteilen, sofern die schillerschen Werke nicht als bloßes Bildungsgut inszeniert werden.

Davon war die jüngste Inszenierung der „Räuber“, die die Hamburger Theatermacher jetzt im fast voll besetzten Stadttheater gaben, meilenweit entfernt. Was Regisseur Michael Jurgons und sein junges Ensemble darboten, war

ein echter Theatervulkan. Von der ersten bis zur letzten Minute erlebte das zum Teil recht junge Cuxhavener Theaterpublikum eine Räuberbande, die, angefüllt mit Testosteron bis zur Unterlippe, sich kreischend und grölend ihrer Schandtaten brüstete. Dabei sind die zwölf Darsteller und die einzige Schauspielerin (Diana Ebert als Amalia von Edelreich) mit einem Körpereinsatz bei der Sache, der rasant und energetisch aufgeladen ist, dass es die Zuschauer zuweilen in ihre Sitze drückt. Diese Räuber sind Getriebene ihrer Leidenschaften, was sie suchen, ist Liebe, Macht, Wahrheit und Geld – koste es, was es wolle. Schillers bekanntes Jugendstück hat der Hamburger Regisseur kurzum auf einen Müllplatz verfrachtet (Ausstattung: Carolin Roider). Da leuchtet rechts ein kleiner Hase am Bühnenrand. In der Mitte steht ein helles, abgewetztes Sofa. Ansonsten gibt es überall zerbeulte Ölfässer.

Hundert Prozent Schiller

Vorne links an der Rampe hat der Musiker Michael Reffi mit seinem Schlagzeug Station bezogen, der in dieser durch und durch kraftvollen Inszenierung rhythmische Akzente setzt, die nicht minder energiegeladen sind als das Spiel seiner darstellenden Kollegen. Musik und Gesang bilden ein wesentliches Element in dieser Inszenierung, werden zudem geschickt als Schnitt-Technik benutzt. Ansonsten gibt es für die Besucher mit Blick auf den Text zu 100 Prozent Schiller. Michael Jurgons erzählt die Geschichte der beiden verfeindeten Brüder Franz und Karl Moor auf eindringliche Weise. Er lässt die schillerschen Studenten von einst und ihren tödlichen Familienzwist austragen.

Gunnar Frietsch gibt seinen Franz als übel-intriganten Schleimer, der seinem charismatischen Bruder, dem Bandenanführer Karl Moor (überzeugend dargeboten von Patrick Abozen), buchstäblich die Pest an den Hals wünscht. Auch der Spiegelberg (Cem Gültekin) ist im Hier und Jetzt angekommen. In Jogginghose und Shirt treibt er gemeinsam mit den anderen turnschuhtragenden Rabauken sein brutales Spiel. In letzteres wird das Publikum direkt mit einbezogen, weil die Darsteller von der Bühne in den Zuschauerraum stürzen, über Sitzereihen klettern oder auf dem Fußboden kriechen. Das ist Theater von einer Intensität, die sogar zu riechen ist. Diese „Räuber“ sind authentisch und wahrhaftig.


Schiller als explosiver Bühnen-Rausch

Schwarzwälder Bote, 16.11.2009
Packende “Räuber” mit den “Theatermachern” aus Hamburg / Begeistertes Publikum in der Nagolder Stadthalle

Von Irmeli Thienes

Nagold. „Ich bin mein Himmel und meine Hölle“ sagt Karl Moor am Ende, erdrückt von der Schwere des eigenen Versagens. Liebe neben niederschmetternder Schuld, Reue ohne Erlösung als den Tod – die Innenwelten der Schillerschen „Räuber“ spiegelt die junge Hamburger Truppe „die Theatermacher“ in einem Bühnen-Rausch, explosiv, kraftvoll, fett. Das große Publikum in der vollen Stadthalle vergaß alles drum herum.

Minutenlang hielt der Applaus an, Gejohle und Getrampel folgten. Viele junge Erwachsene waren darunter, Gymnasiasten und das zeigte: Die moderne Inszenierung hatte sie gepackt.

In der Tat bringen die Schauspieler Schillers Kraft, den Kampf der Gefühle auf die Bretter, machen aus der alten Halle ihren Räuberwald. Sie stürmen die Reihen, fegen über Stühle, brüllen den Menschen ins Gesicht. Und das Ensemble bleibt – wunderbar ! – nah am Text. Die Körperlichkeit aller 13, zwölf Männer neben Amalia, ist überwältigend.

Sie entblößt sich, wo es das Stück ihrer Seele abverlangt, es stürzen Männer von der Bühne, klatschen hörbar auf. Von Tod und Gemetzel zeugt ohrenbetäubendes Tonnen-Getrommel. Rauch und Schweiß wabern von der Bühne. Und doch gewinnt des blutjungen Schillers „Räuber“ in dieser Inszenierung (Regie Michael Jurgons) gerade auch aus den leisen, poetischen Momenten an Dynamik.

So hehr der Karl (Patrick Abozen), so niederträchtig Intrigant Franz (Gunnar Frietsch) wie widerlich, schmierig opportunistisch der Moritz Spiegelberg (Martin Heise), so leidenschaftlich wie stimmlich beachtlich die Amalia (Diana Ebert) – die Bühnenpräsenz aller ist enorm. Mit Klumpfuss-Klötzen erzeugt Carolin Roider (Ausstattung) den schweren Gang des alten Vaters Maximilian von Moor, mit Jogginghosen und Chucks aktualisiert sie die Räuberkluft. Und auch Bob Marlys „Iron lion zion“ trägt bei zum Bild wie von den Krawallen in den Pariser Banlieus 2005 – Horden rebellierender Jugendlicher, zu allem entschlossen und mittendrin ein irre lachender Schweizer.

Für Witz, Schmelz und den Schreck im richtigen Moment sorgt Musiker Michael Riffi und bei allem schadet es nicht, dass Amalia sehr oft raucht, die Verständlichkeit manchmal der Preis des leidenschaftlichen Vortrags ist und der alte Moor nicht wirklich alt wirkt – denn nie leiden die Inhalte, immer ist Schiller präsent – was kann man in seinem Geburtsjahr schöneres wünschen ? Nur vielleicht noch den nächsten Auftritt der Theatermacher GmbH.


Niederträchtige Räuber in der Stadthalle

Nordbayerischer-KURIER.de, 29. 10. 2009
BAYREUTH. Eine bunte Truppe aus Draufgängern, Taugenichtsen, Aussteigern und Träumern – das sind Schillers Räuber. Auf der Bühne der Bayreuther Stadthalle trieben sie am Dienstag ihr Unwesen, zogen raubend, schändend, mordend durch die deutschen Wälder. Die Aufführung: ein Gastspiel der Theatermacher GmbH aus Hamburg. Das Ensemble lieferte dem Publikum eine moderne Inszenierung des über 200 Jahre alten Stücks, ohne den Schiller-Stoff allzu sehr zu entfremden.

„In den Tiefen mancher Seele tun sich Abgründe auf, schlechte Menschen Missetäter gab es immer schon zu Hauf: Räuber und Banditen, Mörder auch sogar – dies ist jetzt das Lied von einem, der ihr König war“, singt die Räuberbande zu Beginn des Schauspiels. Seelische Abgründe tun sich in der dreistündigen Aufführung in der Tat viele auf. Bei der Räuberbande, die sich immer wieder schreiend, johlend, kreischend mit ihren Schandtaten brüstet. Zum Beispiel damit, wie sie eine ganze Stadt niederfackelte, um einen Kameraden vom Galgen zu befreien. „83 Tote für Roller“, ruft einer stolz. Ein anderer zählt auf, wer sterben musste: „Kranke, Greise, Hochschwangere, Kinder.“

Packend, neben der schauspielerischen Leistung, auch Michael Reffis musikalische Begleitung. Harte Schlagzeug-Soli bringen die innere Zerrissenheit der Charaktere zum Ausdruck, Melodien auf Akkordeon und Ukulele ihre Trauer, Wünsche, Sehnsüchte. Regisseur Michael Jurgons ist mit seiner Version der „Räuber“ eine gelungene Umsetzung des Schiller-Stoffs geglückt. Das Bayreuther Publikum belohnte die dreistündige Aufführung mit lang anhaltendem Applaus.


Schillers Räuber auf dem Müllplatz

Darmstädter Echo
Schauspiel „Die Theatermacher” zeigen Inszenierung voller Tempo und Energie

Von Elfriede Schmidt

Da behaupte einer, Bühnenklassiker seien veraltet und verstaubt und taugten nicht mehr zur kritischen Reflexion gesellschaftspolitischer Zustände. Was das junge Hamburger Ensemble „Die Theatermacher” zum Saisonbeginn im Schauspiel-Abonnement mit Schillers „Räuber” am Freitag im Theater aufführte, begeisterte nicht nur das Stammpublikum , sondern auch die zahlreichen Oberstufen-Schulklassen, die zu zwei Dritteln das gut gefüllte Parkett besetzten und die dreistündige, energie- und tempogeladene Aufführung fasziniert verfolgten. Erst nach langem Beifall und Bravorufen entließ das Publikum zuletzt die 13 Akteure von der Bühne, auf der auch besondere Einzelleistungen (Patrick Abozen als Karl Moor, Gunnar Frietsch als Franz Moor, José Barros Moncada als Schweizer, Cem Gültekin als Spiegelberg und Daniel) hervorstachen.

Schillers Jugendstück „Die Räuber” wird in dieser Interpretation auf einen Müllplatz verlegt. Die Raubritter, von ihrem Bandenführer Karl Moor zum Morden, Stehlen und Brandschatzen angehalten, haben an dieser Stelle ihren Treffpunkt und sind eine kunterbunte Horde Jugendlicher, die im Grunde gegen die Vätergeneration rebelliert. Es geht um Anderssein, um Träume, Visionen, den Generationenkonflikt und um Liebe, Eros und Tod.

Erbitterter Kampf zweier Brüder

Zwei verfeindete Brüder, der Bösewicht Franz und der betrogene und zum charismatischen Bandenführer mutierte Karl, der, als er die Folgen seines kriminellen Tuns erkennt und aussteigen will, von der Gang gestoppt wird, liefern sich einen erbitterten Kampf, bei dem es keinen Sieger gibt. Bereits das sparsame, trostlose Bühnenbild deutet diesen tragischen Ausgang an. Überall kullern rostige, zerbeulte Ölfässer umher, in der Bühnenmitte steht eine zerschlissene beigefarbene Couch; links vor der Bühnenrampe ist ein Schlagzeug installiert, daneben liegen andere Musikinstrumente – tatsächlich ist die Musik ein tragendes Element dieser Inszenierung, in der nicht nur gesprochen, getanzt und geturnt, sondern zwischenzeitlich auch immer wieder im Chor gesungen wird, zuletzt das Volkslied „Kein schöner Land” als Zitat aus einer vergangenen Epoche.

Ironisch, witzig und mit leichter Hand hat Regisseur Michael Jurgons mit den Hamburger Theatermachern diese „Räuber” inszeniert und dabei wohl manche spontane Idee der jungen Darsteller übernommen. Die großen tragischen Gesten oder rhetorisches Pathos fehlen völlig, allenfalls wird bisweilen vorsichtig ironisiert. Der alte und kranke Vater Graf Maximilian von Moor etwa wird nicht, wie häufig zu sehen, als ein hinfälliger Greis im Rollstuhl gezeigt, sondern stelzt hier auf hohen, silberglänzenden Kothurnen, die sich am Ende sein macht- und geldgieriger Sohn Franz unter die Füße schnallt und so demonstriert, dass er jetzt der Herr im Hause Moor ist.

Poesie und wüste Schimpfkanonaden

Aber wo anfangen, wo enden in dieser energiegeladenen, von anrührend poetischen und von wüsten Schimpfkanonaden bestimmten Inszenierung, die so spannend ist, dass es mucksmäuschenstill blieb im Theater? Viel ist zu spüren vom feurig-rebellischen Idealismus, der in den ambivalenten Helden dieses mörderischen Familienzwists steckt, und Regisseur Jurgons und sein Team lassen Franz, die verschlagene Kanaille, schon rein äußerlich eine Schofelgestalt sein: Intelligent, durchtrieben, bleich, skrupellos, brutal (als er Amalia von Edelreich, die Geliebte seines Bruders Karl, gewaltsam zu seiner Mätresse machen will), hinterlistig, zynisch und siegessicher („Herr muss ich sein”), so erobert er die Macht im Schloss und führt alle hinters Licht. Aber als er am Ende einsehen muss, dass er verloren hat, weil Karl den Schwindel aufdeckt, gibt er auf und schluckt Gift.

Wie Franz hat auch Amalia, – die einzige weibliche Rolle wird von Diana Ebert übernommen – die dem totgeglaubten Karl treu bleibt, ein klares Ziel. Weil Karl sich in dieser martialischen Schillerschen Horrorshow jedoch einem weltlichen Gericht stellen will, muss er Amalia töten als das Opfer, das er bringen will. Aber eher ist es wohl die Einsicht in die Sinnlosigkeit seiner Rebellion, die ihn zu dieser Selbstaufgabe treibt.


Verbotene Hiebe – respektvoll inszeniert

Deister- und Weserzeitung
Fesselnder Mix: Schillers „Räuber“ heute im Theater

Von Julia Marre

Hameln. Mondgelb leuchtet der Hase am Bühnenrand. Champagnerfarben ruht das familienfreundliche Sofa im beinahe leeren Raum – als Regisseur Michael Jurgons zu Beginn der Generalprobe gestern Abend auf die Bühne des Theaters Hameln tritt. „Es wird laut werden“, sagt er. Und es wird laut. Was bei weitem nicht nur daran liegt, dass Musiker Michael Reffi live im Rampenlicht trommelt, spielt, schlägt, summt und singt. Sondern auch daran, dass das Ensemble zwischen Krawall und Komasaufen einer Tragödie Heutigkeit einhaucht. Zwar haben Schillers stürmende, drängende „Räuber“ mehr als 200 Jahre auf dem Buckel; dieser Inszenierung jedoch ist das keineswegs anzumerken.

Die Lebenswelt der rüpelhaften Studenten, die zu studierten Rüpeln mutieren, ist ins 21. Jahrhundert übersetzt. Da steckt Spiegelberg (Cem Gültekin) in Batik-Shirt und Jogginghose, als er Prügel austeilt. Tragen die anderen Gauner Turnschuhe, farbige Shorts und Boxerstiefel – und erinnern dabei allesamt an eine gegenwärtige Bad-Taste-Partygesellschaft auf bewusstseinserweiternder Klassenfahrt. Ausgelassen getanzt wird zu Bob Marleys „Ion, Lion, Zion“. Ausgiebig besungen das Volkslied „Kein schöner Land“. Dass Amalia sich in jeder ausweglosen Situation eine Zigarette anzündet, ist nahezu selbstverständlich. Und auch nicht schlimm: weil es passt.

Charismatischer Räuberhauptmann

Franz Moor, die arme Wurst, gibt Gunnar Fietsch unberechenbar und wohlüberlegt als schleimigen Schleimer, der ebenso gut Intrigant aus einer Fernseh-Soap sein könnte. Patrick Abozens Karl Moor hingegen ist klug und ehrlich – ein charismatischer Räuberhauptmann mit Sinn für Gerechtigkeit und starker Bühnenpräsenz. Die im Übrigen das Gros der Schauspieler auszeichnet.

Zuweilen erinnert die Aufführung gar an Filme von Tarantino oder Kubrick. Manche Szenen irritieren, schocken. Andere bringen Humor ins Spiel. Musik und Gesang machen einen Schnitt – und ergeben eine fesselnde Mischung. Ob Gewalt hier verherrlicht wird? Wohl kaum. Auch wenn die Akteure Kunstblut spucken und Bühnentode sterben, so bleibt es doch meist bei der aussagekräftigen Andeutung – etwa wenn die brutale Schlacht ein reines Akustikgemetzel ist und von „Stomp“-ähnlichem Trommelwirbel auf Fässern symbolisiert wird. Der Spagat zwischen frischer, kraftvoller Inszenierung und respektvollem Umgang mit der dramatischen Geschichte ist gelungen – ohne Verluste.


„Ein alter Text ist für uns kein Schrottplatz“

Deister- und Weserzeitung

Michael Jurgons über seine Inszenierung

Herr Jurgons, die Theatermacher sind dafür bekannt, dass sie Stücke weder platt aktualisieren noch museale Werktreue schwören: Wie sind Sie bei Schillers „Räubern“ vorgegangen?

Die Uraufführung hat über vier Stunden gedauert – das möchte ich weder uns noch dem Zuschauer zumuten. Also haben wir das Material gekürzt. Gegen den Strich gebürstet wird es bei uns natürlich nicht: Beim Text sind wir zu 100 Prozent bei Schiller: Unsere Räuber sind von Schiller, nicht frei nach Schiller. Da wir ihn selbst nicht befragen konnten, haben wir seinen Intentionen sehr genau nachgeforscht. Ein alter Text ist für uns kein Schrottplatz, wo man sich Altteile holt und den Rest wegschmeißt. Aber natürlich ist jede Inszenierung eine Interpretation aus heutiger Sicht. Wie gelungen die ist, müssen letztlich die Zuschauer entscheiden.

Also welchen Ansatz verfolgen Sie?

Schiller war um die 20, als er das Stück schrieb. Er lebte in bedrückenden, engen Verhältnissen. Die Räuber sind sein sehr persönlicher, literarischer Befreiungsschlag. Junge Männer versuchen ihre Träume von Freiheit, Abenteuer und schönen Frauen auszuleben. Und verlieren die Kontrolle über ihr Tun.

Haben Sie das Drama schon einmal inszeniert?

Ja, am Ulmer Theater, das ist schon einige Jahre her. Aber die Sicht verändert sich. Das hat mit der ganzen Arbeit, mit der Form des Theaters zu tun. Unser Ensemble ist eine homogene Truppe; viele haben schon zusammen studiert und sind gemeinsam in den Beruf gestartet. Das ist ein spannendes Arbeitsfeld, wenn man auf bestehende Beziehungen aufbauen kann. Es macht die Arbeit authentischer, als das unter den Bedingungen des üblichen Theaterbetriebs möglich ist.

Was ist im Vergleich zu Ihrer damaligen Arbeit an der jetzigen „Räuber“-Inszenierung anders?

Alles. Die aktuelle Inszenierung ist körperlicher, schneller, energetisch aufgeladener. Sie drückt den Lebenshunger, die Vitalität ganz junger Leute unmittelbarer, direkter aus. Es geht mehr um Sehnsüchte und weniger um politische Konzepte.

Sie haben aus den Räubern also keine radikalen Globalisierungsgegner gemacht…?

Nein, sie sind weder RAF-Terroristen, noch sind sie Kommunisten oder Rocker. Unsere Räuber sind Getriebene ihrer Leidenschaften. Sie suchen das, was sie für Glück halten: Liebe, Macht, Wahrheit, und – schließlich sind sie Räuber – Geld.

Ihr Ansatz liegt demnach in der Zeitlosigkeit des Stoffes begründet?

Genau. Platt aktualisiert, wären die Räuber wohl Manager im Anzug, die Koffer und Handys bei sich tragen und vor einer Videoleinwand agieren. Unsere Räuber tun das nicht und sind trotzdem moderne Menschen. In unserer Hoffnung auf den großen Lottogewinn, die große Liebe oder besser beides, unterscheiden wir uns kein bisschen von unseren Vorfahren.


Kommentare zur Premiere von Schillers “Die Räuber” im Hamburger Sprechwerk

Quelle: Besucher-Blog des Hamburger Sprechwerks

“viel energie die von der bühne drang. fast vier stunden geballte kraft. wunderbare nebencharaktäre: cem, jonas, moritz!!! vielen dank dafür. die körperlichkeit – männerbande, wunderbar!! dann die musik! der barde, der auch schlagzeug spielt, ein traum!!! die schönste szene: gegen ende zwei unterhaltungen – auf dem sofa und vorn am bühnenrand. der fokus verschiebt sich akkustisch – großartig!!! schade dass der karl so leise geriet dass er in der letzten reihe kaum zu verstehen war und schade dass franz die worte atemlos schleuderte, so dass ich kaum mitkam und ihm manchmal schwer folgen konnte.”
“Ich fand es wirklich großartig! voller Energie gespielt und sehr mitreißend inszeniert! Besonders gut: der Franz, der Karl, der Vater und der Schlagzeugspieler…[…]“
“Ein animalischer Sinnesgenuss! Der Premierenabend ist mir sehr lebendig in Erinnerung – danke für die großartige Vorstellung! Kraftvoll spielten die Schauspieler, allesamt Absolventen oder Schüler der Schauspielschule Hamburg, nicht nur die Schlachtszene, in der stählerne Männerkörper auf nahezu animalische Weise auf blecherne Tonnen einschlugen. Die hierbei freigesetzte Energie gleicht der eines Stunden andauernden Gewitters, Donner inklusive. Wie passend ebenfalls der Schlagzeugsound als Zwischenbildmusik, ein besseres Instrument hätte zur Versinnbildlichung dieser vor Jugendlichkeit überstrotzenden Räuberbande nicht gefunden werden können. Hierin gleichen die Schauspieler merklich dem Autor des Stückes, der mit gerade einmal 22 Jahren ‘Die Räuber’ verfasste. Hervorzuheben ist auf musikalischer Ebene ebenso der zwei- bis vierstimmige Gesang des Ensembles, durch den gleich zu Beginn eine Atmosphäre geschaffen wird, der in den folgenden dreieinhalb Stunden nicht mehr zu entrinnen ist. Fast alle Charaktere sprühten einerseits vor individuellem Charme und Eigensinnigkeit – sei es der zum Schwäbeln verdonnerte Schufterle, das züngelnde Bandenmitglied oder der Akrobat. Andererseits ist eine immense Einheitlichkeit im Ausdruck und ein gemeinsamer Wille der Gruppe, aus der das Schauspiel viel an Kraft gewinnt, spürbar. Exzellent besetzt sind die Gebrüder Moor – was für ein Wortspiel im Falle von Patrick Abozen -, sie spielen voller Inbrunst und Überzeugung. Wenngleich viele originelle Regieideen dem Stück sehr zu Gute kommen, so wurde der Sinnesgenuss dieses Abends in einigen Szenen durch Übertreibung ins Schmalzige oder Plakative getrübt: Muss das Exen der Flasche wirklich sein? Es ist bereits vorher klar, welche Art von Bande dargestellt wird. Ist der Tango wirklich nötig? Geht es nicht etwas subtiler? Dennoch war es ein sehr kurzweiliger Abend mit gelungener Inszenierung und überzeugenden Darstellern.[…]“
“Ein großartiger Theaterabend! Friedrich Schiller, wäre er zu unserer Zeit aufgewachsen, hätte sicherlich seine Freude gehabt wie sein Gedankengut in die heutige Zeit transportiert worden ist. Die geballte Kraft mit der die einzelnen Charaktere herausgespielt wurden überzeugte.Es war für mich nicht nur unterhaltend (und das ist gut so) sondern auch anstrengend den vielen langen Dialogen zu folgen. Vielleicht würde eine behutsame Kürzung einiger Dialoge die Effektifität des zu transportierenden Themas begünstigen.”


Theater pur im Pfarrstadel

Schwäbische Zeitung

Von Karl-Heinz Schweigert

Reichenhofen – Wer am Samstagabend vom vhs-Tourneetheater nur einen ermüdenden Aufwasch des klassischen Lustspieles von Gotthold Ephraim Lessing erwartete, sah sich bald eines Besseren belehrt: Die “Theatermacher” aus Hamburg bereiteten das Stück in Regie und Inszenierung zeitgemäß zu einem beeindruckendes Spiel auf, das einen anhaltenden Schlussapplaus verdiente.
Die Väter des Erfolgs bei der vhs-Premiere sind zahlreich: Zum einen gewährte der Pfarrstadel dem flexiblen Ensemble genügend Aktionsraum, verbunden mit einer unmittelbaren Nähe zum Publikum und einer modernen Technik. Zum anderen verstand es Regisseur Michael Jurgons aufs Beste die Rollen seinem Team zuzuschneiden, was dieses dann in mitreißendem, ungekünsteltem Spiel mit ausgesuchten selbsterstellten Kostümen umsetzte.
Die bei Lessing starke Gewichtung der Frauen spiegelt sich auch in der Besetzung wider: Ungemein ausdrucksstark verkörperte Sigrid Schnückel den Major von Tellheim und Charlotte Ullrich die Minna von Barnhelm. Ihnen gleichwertig zur Seite standen Tomek Nowicki als treuer Adjutant wie Verena Unbehaun als “nicht unebenes Frauenzimmerchen”, deren rasante Sprechkaskaden allerdings inhaltlich nicht immer herüberkamen. Als ungemein verwandlungsfähiger “Mann mit der Pudelmütze” brillierte Axel Röhrle, in gleicher Weise mimikstark Cornelius Schwalm als leichtlebiger Soldat. Schließlich gefiel, wenn auch manchmal überzeichnend, John R. Carlson als virtuoser Pianist, Sänger und Patomime.
Komödiantisch bereiteten sie alle dem begeisterten Publikum einen vergnüglichen Abend, ersparten aber nicht hart kontrastierend in den Eingangs- und Schluss-Szenen die ständige Bedrohung von Frieden und Liebe durch Krieg und Gewalt.


Am Ende siegt die Liebe

Schwarzwälder Bote

Theatermacher brillieren mit “Minna von Barnhelm”

Villingen-Schwenningen (tri)
Lessings “Minna von Barnhelm” – vielleicht haben manche gedacht, dies 240 Jahre alte Stück um die Ehre eines abgedankten Offiziers sei veraltet. Die “Theatermacher”, eine Truppe freiberuflicher Schauspieler, bewiesen das Gegenteil.
Wenn heute ein ehrlicher Mann sein privates Geld ausgäbe, um denen, von denen er Steuern eintreiben soll, zu helfen – erhöbe sich da nicht sofort der Verdacht, er habe das aus egoistischer Berechnung getan, sei also korrupt? Und ganz besonders blüht Korruption in wirren Kriegs- und Nachkriegszeiten. Kampfgetöse am Anfang, der Klavierspieler steht als Tod mit der Sense in der Mitte der Bühne.
Unter Korruptionsverdacht steht Major von Tellheim (dargestellt von Sigrid Schnückel). Alle Verbitterung des zu Unrecht Verdächtigten spiegelt sich in ihm, und er glaubt, deswegen die von ihm geliebte Mitta nicht heiraten zu können. Vor einem nur angedeuteten Hintergrund mit der großen Leuchtschrift “Soldatenglück” agieren moderne Menschen, der rauhbeinige Offiziersbursche und der Wachtmeister ebenso wie der auf seinen Gewinn bedachte Gastwirt. Die Zeitlosigkeit des Geschehens wird untermalt durch John Carlsons Klavier-Begleitung, das Lied vom guten Kameraden ebenso wie das vom Maikäfer, der zum abgebrannten Pommerland fliegt, und natürlich Lilli Marleen, die hinter dem Vorhang hervor mit einem netzbestrumpften Bein winkt.
Und die Frauen, die da nach dem Krieg ihren Verlobten oder einen Freund suchen, deuten zwar in ihren Kostümen das 18. Jahrhundert an – aber es ist ja das ewige Spiel um beständige und opferbereite Liebe, verbunden mit Scherz und Neckerei bei Minna (Charlotte Ullrich) und ihrer temperamentvollen Zofe Franziska (Verena Unbehaun), die sich mit viel Koketterie und Witz ihren Wachtmeister angelt. Sehr bewegt, allen verfügbaren Raum nutzend spielen sie – und ihre Verführungskünste fesseln ihre Partner ebenso wie das Publikum.
Vielseitige Komik bringt Axel Röhrle ins Spiel – als Justs Pudel, als Freund, als Lilli Marleen, als perfekt französisch parlierender Glücksritter Riccaut de la Marlinière, als Minnas Onkel. Und während das komplizierte Spiel um das von Ehrgefühl und Liebe Erlaubte im Mittelpunkt steht, hockt der lange dünne Amerikaner Carlson auf seinem Klavier in der Ecke und grinst ironisch. Schauspielkunst, die an angelsächsische Tradition anknüpft: Sie setzen voll auf die Wirkung der Personen, mischen sich ins Publikum, spielen mit sehr viel Bewegung.
Die Verwicklungen drohen ins Tragische zu kippen; aber Minnas überlegener Humor kann schließlich Tellheim besiegen, und da auch der Korruptionsverdacht ausgeräumt wird, steht einem Happy-End nichts mehr im Wege. Doch diese von Michael Jurgons erarbeitete Inszenierung endet mit der Erinnerung, dass auch die sieghafte Liebe stets bedroht ist vom Kampfgetöse des Krieges. Das begeisterte Publikum dankte mit langem Applaus.


Viel Spaß mit einer ganz anderen “Minna”

Südwest-Presse

Mit Phantasie, Herz und viel Intelligenz
Für Zuschauer auch in drei Stunden Spieldauer kurzweilig
Villingen-Schwenningen – “Die Theatermacher” nennt sich die junge Truppe – das klingt nach Hingabe an dieses Metier. Von solcher Hingabe zeugte im Theater am Ring Lessings Lustspiel “Minna von Barnhelm”, das von Inszenierungs- und Spielfreude nur so sprühte, das mit Phantasie, Herz und viel Intelligenz auf den Punkt gebracht wurde und zugleich spannend unterhaltsam war. Diese “Minna” war trotz historisch angehauchter Kostüme und größter Werktreue so wenig verstaubt und mit so viel Witz versehen, dass auch die jungen Zuschauer ihre Freude daran gehabt haben dürften.
Der Untertitel des Lessing-Stücks lautet “Das Soldatenglück” – in großen Leuchtlettern überstrahlte dies die Bühne, wie ein Motto, das in den Turbulenzen des Geschehens leicht vergessen werden könnte. Davor schützt auch das Anfangs- und Schlussbild eines Schlachtfeldes, auf dem der Sensenmann umher wandert, untermalt vom grausigen Kriegsgetöse. Nur vor diesem Hintergrund ist ja erst möglich, was sich auf der Bühne abspielt: Nicht nur, weil es Wachtmeister gibt, die mit dem Leben im Frieden nicht mehr klar kommen, weil Gelder und Güter verloren gingen, weil trauernde Witwen ohne die gefallenen Ehemänner und Väter nicht mehr ein noch aus wissen; sondern auch, weil auf dem “Feld der Ehre” ganz besonders üppig die Deformierungen menschlichen (männlichen) Geistes und Empfindens durch die unterschütterlichen Maßgaben des Ehrbegriffs sprießen.
Der Major von Tellheim ist ein Exemplar, der sein ganzes Wesen an diesem Begriff ausgerichtet hat. Seine persönlichen Wünsche, seine wahren Gefühle, ja, seine ganze Individualität muss hinter seiner Ehre bzw. deren Kränkung zurück treten – so sehr, dass die übrig gebliebene personifizierte Idee ebenso gut von einer Frau gespielt werden kann. Bei einem Mann, der sowieso nur unerschütterlich seiner Rolle treu bleibt, macht das nicht wirklich einen Unterschied – außer, dass genau diese Rolle vielleicht noch prägnanter deutlich wird.
Reines Rollenspiel zeigte auch der Pudel, von dessen Treue der wackere Just berichtet, und der nun – erkennbar an der Mütze gleichen Namens – leibhaftig über die Bühne hechelte. Er verwandelte sich immer wieder, in den Spieler Riccaut, den alten Oheim, oder in passendem Gewand die beklagenswerte Witwe. Trotz des fraglos komödiantischen Effekts, den solche Auftritte haben, gelang es immer, das wahre Wesen der Personen heraus zu arbeiten, den hintergründigen Sinn und Ernst nicht zu vergessen. Hier wurde wahrlich Theater gemacht, indem die emanzipierte Minna und die süße, forsche Franziska durch ihre List die ganze fragwürdige Konstruktion von überzogenem Ehrenkodex und damit auch von vorgegebenene männlichen und weiblichen Rollenverteilungen gründlich ins Wanken geraten lassen konnten. Reisegepäck, zwei Tische, eine Bettdecke genügten als Möblierung, ein kleiner Vorhang und die viel benutzte Tür im Hintergrund schufen ein Innen und Außen. Der singende und Klavier spielende Musikant fungierte auch als Beobachter und Zuhörer am Rande, Auftritte erfolgten aus dem Zuschauerraum, manche aktuelle Anspielungen flossen in den Text ein, und immer mal wieder wurde fröhlich gesächselt.
Und unzähliche mimische, gestische und choreographische Einfälle machten die über drei Stunden Spieldauer kurzweilig und das Lustspiel so wirkungsvoll, wie sein genialer Autor es vor 235 Jahren verfasst hatte. Viel Applaus und die Hoffnung auf ein Wiedersehen mit den “Theatermachern.”


Ringen um Ehre und Liebe-und ein raffiniertes Verwirrspiel

Deister-und Weserzeitung Hameln

Hameln – (…) Mit großem schauspielerischem Ausdruck sowie unglaublicher Sicherheit im Sprachmuster damaliger Zeit begeisterte das siebenköpfige Ensemble (…). „In zehn Jahren ist Sie Frau Generalin oder Witwe“ formuliert Wachtmeister Werner am Ende nüchtern, der Franziskas Herz erobert hat. Ihn zieht es wieder in den Krieg – Soldatenglück? Und trotz Liebe schleicht sich dann erneut die Schreckenswelt des Krieges mit dem Sensenmann unter Kanonenhagel auf dem Schlachtfeld ins Bewußtsein.
Rund um diese Anfangs- und Schlusszene inszeniert Michael Jurgons eine erfrischende Neuauflage des 1763 geschriebenen Klassikers. Ein lebendiger dreistündiger Theaterabend, an dessen Ende langanhaltender, tosender Applaus steht.


Lessings Figuren mit Leben erfüllt

Holsteinischer Courier

Von Karin Hartmann

Mit dem Stück “Minna von Barnhelm oder Das Soldatenglück” startete die Saison in der Stadthalle. Der Auftakt glückte, es gab viel Beifall.
Neumünster – Vorhang auf für die Theatersaison 2006/07 – für “Minna von Barnhelm oder das Soldatenglück”! Gotthold Ephraim Lessing “verfertigte” das schönste deutsche Lustspiel 1763 unter den Eindrücken des siebenjährigen Krieges, an dem er als Sekretär des Generalleutnants von Tauentzien teilnahm.
Die Lektion in Sachen Liebe und Ehre, die das Fräulein von Barnhelm ihrem Verlobten, dem kleinmütigen, körperlich und seelisch verletzten Major von Tellheim verpasst, begeistert immer noch. Grandios der Dramenaufbau, die geschliffene Sprache der aufklärerischen Gedanken und die lebendigen, zeitlosen Charaktere.
Minna (damenhaft verliebt und emanzipiert: Kira Albers) und ihre kecke Zofe Franziska (herrlich quirlig: Christine Arndt) bringen den “Drechslerpuppen” von Soldaten bei, “dass man auch lachend sehr ernsthaft sein kann”. Es dauert mehrere Akte bis Tellheim (in sich verschlossen, sprachlich besonders gut: Nils Hillebrand) und Wachtmeister Werner (sympathisch: Nicolas Bertholet, der auch als Riccaut erheiternd parlierte) das endlich begreifen.
“Die Theatermacher” aus Hamburg starten ihrer Tournee in Neumünster. Der abendlichen Premiere ging eine morgendliche, öffentliche Generalprobe voraus, und Neumünsteraner Schüler füllten das Theater fast bis auf den letzten Platz.
Eine Generalprobe bietet dem Regisseur die Möglichkeit, noch letzte Korrekturen vorzunehmen: textliche, akustische, bühnentechnische. Das junge Publikum wird vielleicht bemerkt haben, dass einige Darsteller ihre Stimmintensität noch testeten, dass die Spannung manchmal etwas “durchhing” -kleinere Mängel, die am Abend behoben waren. Der Text wurde noch klarer und pointierter gesprochen, das “Timing” war noch präziser und die Spannung hielt über drei Stunden. Hut ab!
Der Name “Theatermacher” ist Programm der Truppe; die Zuschauer sehen, wie Theater gemacht wird, wie scheinbar improvisiert wird, wie sich ganz selbstverständlich der begabte Musiker (Michael Reffi) in den alten Ohnheim und den witzigen Pudel verwandelt. Regisseur Michael Jurgons hielt gute Balance zwischen ruhig-ernsten und komödiantisch-burlesken Passagen.
In diese Rubrik gehören auch die Leistungen des aufdringlichen Wirts (sehr genau: Timo Virgils), dessen erfundener Tochter (Sarah Diener) und der hervorragenden Dieners Just (Jan Stapelfeld). Jurgons erfreute mit vielen sinngebenden Accessoires bei Kostümen und Requisiten, die genau wie die “Einlagen” die Brücke von der Aufklärung zur Gegenwart schlugen. Lieder, Tänzchen und Geräusche brachten das zum Ausdruck, was den Personen partout nicht über die Lippen kommen will.
Die Inszenierung der “Theatermacher” bewies Respekt vor Lessings großem Text und Geschick, die Figuren heutigen Theatergängern nahe zu bringen. Und das Abendpublikum dankte allen Mitwirkenden mit großem Applaus.


Aus einer Rede von Jean Anouilh

(verlesen in der Comédie Francaise am 15. Januar 1959)
“Wir können uns gegenseitig unter mehr oder weniger edlen Vorwänden verletzen, verraten, massakrieren, uns mit scheinbarer Größe aufblasen: wir sind komisch. Nichts anderes, wir alle, einschließlich derer, die wir unsere Helden nennen.
Mögen die langweiligen Philosophen der Verzweiflung, die in regelmäßigen Zeitabständen und immer ein wenig naiv immer wieder das Schreckliche der menschlichen Existenz entdecken und uns daran hinter möchten, uns im Theater zu amüsieren, sich in das Unabänderliche fügen: wir sind komisch!
Und das ist letzten Endes noch schrecklicher als die grauenvollen Schilderungen unseres Nichts.”