Schillers Räuber auf dem Müllplatz

Darmstädter Echo
Schauspiel „Die Theatermacher” zeigen Inszenierung voller Tempo und Energie

Von Elfriede Schmidt

Da behaupte einer, Bühnenklassiker seien veraltet und verstaubt und taugten nicht mehr zur kritischen Reflexion gesellschaftspolitischer Zustände. Was das junge Hamburger Ensemble „Die Theatermacher” zum Saisonbeginn im Schauspiel-Abonnement mit Schillers „Räuber” am Freitag im Theater aufführte, begeisterte nicht nur das Stammpublikum , sondern auch die zahlreichen Oberstufen-Schulklassen, die zu zwei Dritteln das gut gefüllte Parkett besetzten und die dreistündige, energie- und tempogeladene Aufführung fasziniert verfolgten. Erst nach langem Beifall und Bravorufen entließ das Publikum zuletzt die 13 Akteure von der Bühne, auf der auch besondere Einzelleistungen (Patrick Abozen als Karl Moor, Gunnar Frietsch als Franz Moor, José Barros Moncada als Schweizer, Cem Gültekin als Spiegelberg und Daniel) hervorstachen.

Schillers Jugendstück „Die Räuber” wird in dieser Interpretation auf einen Müllplatz verlegt. Die Raubritter, von ihrem Bandenführer Karl Moor zum Morden, Stehlen und Brandschatzen angehalten, haben an dieser Stelle ihren Treffpunkt und sind eine kunterbunte Horde Jugendlicher, die im Grunde gegen die Vätergeneration rebelliert. Es geht um Anderssein, um Träume, Visionen, den Generationenkonflikt und um Liebe, Eros und Tod.

Erbitterter Kampf zweier Brüder

Zwei verfeindete Brüder, der Bösewicht Franz und der betrogene und zum charismatischen Bandenführer mutierte Karl, der, als er die Folgen seines kriminellen Tuns erkennt und aussteigen will, von der Gang gestoppt wird, liefern sich einen erbitterten Kampf, bei dem es keinen Sieger gibt. Bereits das sparsame, trostlose Bühnenbild deutet diesen tragischen Ausgang an. Überall kullern rostige, zerbeulte Ölfässer umher, in der Bühnenmitte steht eine zerschlissene beigefarbene Couch; links vor der Bühnenrampe ist ein Schlagzeug installiert, daneben liegen andere Musikinstrumente – tatsächlich ist die Musik ein tragendes Element dieser Inszenierung, in der nicht nur gesprochen, getanzt und geturnt, sondern zwischenzeitlich auch immer wieder im Chor gesungen wird, zuletzt das Volkslied „Kein schöner Land” als Zitat aus einer vergangenen Epoche.

Ironisch, witzig und mit leichter Hand hat Regisseur Michael Jurgons mit den Hamburger Theatermachern diese „Räuber” inszeniert und dabei wohl manche spontane Idee der jungen Darsteller übernommen. Die großen tragischen Gesten oder rhetorisches Pathos fehlen völlig, allenfalls wird bisweilen vorsichtig ironisiert. Der alte und kranke Vater Graf Maximilian von Moor etwa wird nicht, wie häufig zu sehen, als ein hinfälliger Greis im Rollstuhl gezeigt, sondern stelzt hier auf hohen, silberglänzenden Kothurnen, die sich am Ende sein macht- und geldgieriger Sohn Franz unter die Füße schnallt und so demonstriert, dass er jetzt der Herr im Hause Moor ist.

Poesie und wüste Schimpfkanonaden

Aber wo anfangen, wo enden in dieser energiegeladenen, von anrührend poetischen und von wüsten Schimpfkanonaden bestimmten Inszenierung, die so spannend ist, dass es mucksmäuschenstill blieb im Theater? Viel ist zu spüren vom feurig-rebellischen Idealismus, der in den ambivalenten Helden dieses mörderischen Familienzwists steckt, und Regisseur Jurgons und sein Team lassen Franz, die verschlagene Kanaille, schon rein äußerlich eine Schofelgestalt sein: Intelligent, durchtrieben, bleich, skrupellos, brutal (als er Amalia von Edelreich, die Geliebte seines Bruders Karl, gewaltsam zu seiner Mätresse machen will), hinterlistig, zynisch und siegessicher („Herr muss ich sein”), so erobert er die Macht im Schloss und führt alle hinters Licht. Aber als er am Ende einsehen muss, dass er verloren hat, weil Karl den Schwindel aufdeckt, gibt er auf und schluckt Gift.

Wie Franz hat auch Amalia, – die einzige weibliche Rolle wird von Diana Ebert übernommen – die dem totgeglaubten Karl treu bleibt, ein klares Ziel. Weil Karl sich in dieser martialischen Schillerschen Horrorshow jedoch einem weltlichen Gericht stellen will, muss er Amalia töten als das Opfer, das er bringen will. Aber eher ist es wohl die Einsicht in die Sinnlosigkeit seiner Rebellion, die ihn zu dieser Selbstaufgabe treibt.