„Ein alter Text ist für uns kein Schrottplatz“

Deister- und Weserzeitung

Michael Jurgons über seine Inszenierung

Herr Jurgons, die Theatermacher sind dafür bekannt, dass sie Stücke weder platt aktualisieren noch museale Werktreue schwören: Wie sind Sie bei Schillers „Räubern“ vorgegangen?

Die Uraufführung hat über vier Stunden gedauert – das möchte ich weder uns noch dem Zuschauer zumuten. Also haben wir das Material gekürzt. Gegen den Strich gebürstet wird es bei uns natürlich nicht: Beim Text sind wir zu 100 Prozent bei Schiller: Unsere Räuber sind von Schiller, nicht frei nach Schiller. Da wir ihn selbst nicht befragen konnten, haben wir seinen Intentionen sehr genau nachgeforscht. Ein alter Text ist für uns kein Schrottplatz, wo man sich Altteile holt und den Rest wegschmeißt. Aber natürlich ist jede Inszenierung eine Interpretation aus heutiger Sicht. Wie gelungen die ist, müssen letztlich die Zuschauer entscheiden.

Also welchen Ansatz verfolgen Sie?

Schiller war um die 20, als er das Stück schrieb. Er lebte in bedrückenden, engen Verhältnissen. Die Räuber sind sein sehr persönlicher, literarischer Befreiungsschlag. Junge Männer versuchen ihre Träume von Freiheit, Abenteuer und schönen Frauen auszuleben. Und verlieren die Kontrolle über ihr Tun.

Haben Sie das Drama schon einmal inszeniert?

Ja, am Ulmer Theater, das ist schon einige Jahre her. Aber die Sicht verändert sich. Das hat mit der ganzen Arbeit, mit der Form des Theaters zu tun. Unser Ensemble ist eine homogene Truppe; viele haben schon zusammen studiert und sind gemeinsam in den Beruf gestartet. Das ist ein spannendes Arbeitsfeld, wenn man auf bestehende Beziehungen aufbauen kann. Es macht die Arbeit authentischer, als das unter den Bedingungen des üblichen Theaterbetriebs möglich ist.

Was ist im Vergleich zu Ihrer damaligen Arbeit an der jetzigen „Räuber“-Inszenierung anders?

Alles. Die aktuelle Inszenierung ist körperlicher, schneller, energetisch aufgeladener. Sie drückt den Lebenshunger, die Vitalität ganz junger Leute unmittelbarer, direkter aus. Es geht mehr um Sehnsüchte und weniger um politische Konzepte.

Sie haben aus den Räubern also keine radikalen Globalisierungsgegner gemacht…?

Nein, sie sind weder RAF-Terroristen, noch sind sie Kommunisten oder Rocker. Unsere Räuber sind Getriebene ihrer Leidenschaften. Sie suchen das, was sie für Glück halten: Liebe, Macht, Wahrheit, und – schließlich sind sie Räuber – Geld.

Ihr Ansatz liegt demnach in der Zeitlosigkeit des Stoffes begründet?

Genau. Platt aktualisiert, wären die Räuber wohl Manager im Anzug, die Koffer und Handys bei sich tragen und vor einer Videoleinwand agieren. Unsere Räuber tun das nicht und sind trotzdem moderne Menschen. In unserer Hoffnung auf den großen Lottogewinn, die große Liebe oder besser beides, unterscheiden wir uns kein bisschen von unseren Vorfahren.