Schillers „Räuber“ in die Neuzeit katapultiert
Neue Osnabrücker Zeitung, 20.09.2010
Theatermacher aus Hamburg überzeugen in Sögel mit zeitloser Parabel über jugendliche Welt- und Lebensentwürfe
Von Roland Quinten
Sögel. Es gibt in Deutschland – nicht nur bei Pädagogen, sondern auch beim kulturell interessierten Publikum – eine stille Übereinkunft darüber, was unter einem „Literatur- Klassiker“ zu verstehen ist, also unter einem Text, sei es ein Gedicht, ein Prosatext oder ein Drama, von dem man überzeugt ist, dass es notwendig und nützlich ist, ihn zu kennen.
Diese Literatur findet sich nicht nur in Lektürekanons kultusministerieller Lehrpläne wieder, sondern gehört zum selbstverständlichen Repertoire von Theaterbühnen. Zu diesen Klassikern gehört auch Schillers erstes Jugendwerk „Die Räuber“, das am Samstagabend in der Aula des Hümmling-Gymnasiums in Sögel von der jungen Theatertruppe der „Theatermacher“ aus Hamburg mit großem Erfolg aufgeführt wurde. Doch Vorsicht! Es ist nicht leicht, einen solchen Klassiker mit reichlich Staub und Patina – Schillers Stück ist immerhin schon 230 Jahre alt – so aufzuführen, dass es nicht nur ältere bildungsbürgerliche Schichten anzusprechen versteht, sondern auch junge Menschen, die so alt sind wie Schiller, als er die „Räuber“ schrieb.
Michael Jurgons, der als Regisseur Schillers Stück mit seinen 13 Schauspielern in die Neuzeit katapultierte, wusste genau, was er tat. Er verzichtete auf jegliche Form von Ideologie oder politischen Konzepten, legte den Schiller’schen Anspruch auf moralische Unterweisung seines Publikums beiseite und konzentrierte sich auf das, was die „Räuber“ tatsächlich zum zeitlosen Theaterstück macht. Seine Inszenierung verkörpert die ungeheure Energie der jungen Generation. Seine Räuber sind weder politisch noch religiös motivierte Terroristen, sondern Getriebene ihrer Leidenschaften. Sie rebellieren gegen die Weltordnung ihrer Väter und verzweifeln an der den Willen Gottes offenbarenden Natur. Sie suchen Glück, Liebe, Anerkennung, Macht und Wahrheit in einer eigenen, von traditionellen Werten losgelösten Welt – und scheitern letztendlich. Durch diesen modernen Fokus macht Jurgons zusammen mit seinem überzeugend agierenden Schauspielerensemble aus dem „Klassiker“ eine zeitlose Parabel über jugendliche Welt- und Lebensentwürfe, die der eigentliche Motor jeder Form von menschlichem Zusammenleben sind.
Das Bühnenbild von Carolin Roider stellte einen ansprechenden Hintergrund für das energetisch hoch aufgeladene, zuweilen bis an die Grenzen des Chaotischen tastenden Bühnenspiels zur Verfügung. Sehr gut gefiel auch die Idee, einzelne Szenen durch hervorragende Schlagzeugsoli zu akzentuieren. Kompliment.