Einen Theatervulkan entfacht
Cuxhavener Nachrichten, 20. 11.2009
Riesen-Beifall für Hamburger Theatermacher / Schillers „Räuber“ sind im 21. Jahrhundert angekommen
Von Jens Potschka
CUXHAVEN. Intellektuelle Kraft und Fantasie, eine Sprache voller Elan, Präzision und Wohlklang, einen Sinn für Tragik und für die „großen Gegenstände der Menschheit“ – all das wie auch ein untrügliches Gespür für Bühneneffekte und ein perfektes Timing wurde dem Dramatiker Friedrich Schiller aus berufenem Munde vielfach bestätigt. All das kann sich auch heute noch einem Theaterpublikum mitteilen, sofern die schillerschen Werke nicht als bloßes Bildungsgut inszeniert werden.
Davon war die jüngste Inszenierung der „Räuber“, die die Hamburger Theatermacher jetzt im fast voll besetzten Stadttheater gaben, meilenweit entfernt. Was Regisseur Michael Jurgons und sein junges Ensemble darboten, war
ein echter Theatervulkan. Von der ersten bis zur letzten Minute erlebte das zum Teil recht junge Cuxhavener Theaterpublikum eine Räuberbande, die, angefüllt mit Testosteron bis zur Unterlippe, sich kreischend und grölend ihrer Schandtaten brüstete. Dabei sind die zwölf Darsteller und die einzige Schauspielerin (Diana Ebert als Amalia von Edelreich) mit einem Körpereinsatz bei der Sache, der rasant und energetisch aufgeladen ist, dass es die Zuschauer zuweilen in ihre Sitze drückt. Diese Räuber sind Getriebene ihrer Leidenschaften, was sie suchen, ist Liebe, Macht, Wahrheit und Geld – koste es, was es wolle. Schillers bekanntes Jugendstück hat der Hamburger Regisseur kurzum auf einen Müllplatz verfrachtet (Ausstattung: Carolin Roider). Da leuchtet rechts ein kleiner Hase am Bühnenrand. In der Mitte steht ein helles, abgewetztes Sofa. Ansonsten gibt es überall zerbeulte Ölfässer.
Hundert Prozent Schiller
Vorne links an der Rampe hat der Musiker Michael Reffi mit seinem Schlagzeug Station bezogen, der in dieser durch und durch kraftvollen Inszenierung rhythmische Akzente setzt, die nicht minder energiegeladen sind als das Spiel seiner darstellenden Kollegen. Musik und Gesang bilden ein wesentliches Element in dieser Inszenierung, werden zudem geschickt als Schnitt-Technik benutzt. Ansonsten gibt es für die Besucher mit Blick auf den Text zu 100 Prozent Schiller. Michael Jurgons erzählt die Geschichte der beiden verfeindeten Brüder Franz und Karl Moor auf eindringliche Weise. Er lässt die schillerschen Studenten von einst und ihren tödlichen Familienzwist austragen.
Gunnar Frietsch gibt seinen Franz als übel-intriganten Schleimer, der seinem charismatischen Bruder, dem Bandenanführer Karl Moor (überzeugend dargeboten von Patrick Abozen), buchstäblich die Pest an den Hals wünscht. Auch der Spiegelberg (Cem Gültekin) ist im Hier und Jetzt angekommen. In Jogginghose und Shirt treibt er gemeinsam mit den anderen turnschuhtragenden Rabauken sein brutales Spiel. In letzteres wird das Publikum direkt mit einbezogen, weil die Darsteller von der Bühne in den Zuschauerraum stürzen, über Sitzereihen klettern oder auf dem Fußboden kriechen. Das ist Theater von einer Intensität, die sogar zu riechen ist. Diese „Räuber“ sind authentisch und wahrhaftig.