Video „Die Räuber“
Gastspiele „Minna von Barnhelm“
- Freiburg, Fritz-Hüttinger-Haus (2x)
- Theater auf dem Hornwerk in Nienburg an der Weser
- Elbeforum Brunsbüttel
- Aula des Freiherr-von-Stein-Gymnasiums
- Stadeum Kultur und Tagungszentrum in Stade
- Theater auf dem Hornwerk in Nienburg an der Weser
- Palatin Kongresshotel und Kulturzentrum in Wiesloch
- Bürgerhaus in Schwalbach am Taunus
- Stadthalle Osterode
- Stadthalle Kleve
- Theater Hameln, Großes Haus
- Großer Saal des Theaterhauses, Berlin Mitte (3x)
- Tonhalle Wil (Schweiz, 2x)
- Pfarrstadel Reichenhofen, Leutkirch
- Theater Winterthur, Großes Haus (Schweiz, 3x)
- Theater am Ring, Villingen-Schwenningen
- Stadttheater Kamenz (2x)
- Stadthalle Neumünster
Schillers Räuber auf dem Müllplatz
Darmstädter Echo
Schauspiel „Die Theatermacher” zeigen Inszenierung voller Tempo und Energie
Von Elfriede Schmidt
Da behaupte einer, Bühnenklassiker seien veraltet und verstaubt und taugten nicht mehr zur kritischen Reflexion gesellschaftspolitischer Zustände. Was das junge Hamburger Ensemble „Die Theatermacher” zum Saisonbeginn im Schauspiel-Abonnement mit Schillers „Räuber” am Freitag im Theater aufführte, begeisterte nicht nur das Stammpublikum , sondern auch die zahlreichen Oberstufen-Schulklassen, die zu zwei Dritteln das gut gefüllte Parkett besetzten und die dreistündige, energie- und tempogeladene Aufführung fasziniert verfolgten. Erst nach langem Beifall und Bravorufen entließ das Publikum zuletzt die 13 Akteure von der Bühne, auf der auch besondere Einzelleistungen (Patrick Abozen als Karl Moor, Gunnar Frietsch als Franz Moor, José Barros Moncada als Schweizer, Cem Gültekin als Spiegelberg und Daniel) hervorstachen.
Schillers Jugendstück „Die Räuber” wird in dieser Interpretation auf einen Müllplatz verlegt. Die Raubritter, von ihrem Bandenführer Karl Moor zum Morden, Stehlen und Brandschatzen angehalten, haben an dieser Stelle ihren Treffpunkt und sind eine kunterbunte Horde Jugendlicher, die im Grunde gegen die Vätergeneration rebelliert. Es geht um Anderssein, um Träume, Visionen, den Generationenkonflikt und um Liebe, Eros und Tod.
Erbitterter Kampf zweier Brüder
Zwei verfeindete Brüder, der Bösewicht Franz und der betrogene und zum charismatischen Bandenführer mutierte Karl, der, als er die Folgen seines kriminellen Tuns erkennt und aussteigen will, von der Gang gestoppt wird, liefern sich einen erbitterten Kampf, bei dem es keinen Sieger gibt. Bereits das sparsame, trostlose Bühnenbild deutet diesen tragischen Ausgang an. Überall kullern rostige, zerbeulte Ölfässer umher, in der Bühnenmitte steht eine zerschlissene beigefarbene Couch; links vor der Bühnenrampe ist ein Schlagzeug installiert, daneben liegen andere Musikinstrumente – tatsächlich ist die Musik ein tragendes Element dieser Inszenierung, in der nicht nur gesprochen, getanzt und geturnt, sondern zwischenzeitlich auch immer wieder im Chor gesungen wird, zuletzt das Volkslied „Kein schöner Land” als Zitat aus einer vergangenen Epoche.
Ironisch, witzig und mit leichter Hand hat Regisseur Michael Jurgons mit den Hamburger Theatermachern diese „Räuber” inszeniert und dabei wohl manche spontane Idee der jungen Darsteller übernommen. Die großen tragischen Gesten oder rhetorisches Pathos fehlen völlig, allenfalls wird bisweilen vorsichtig ironisiert. Der alte und kranke Vater Graf Maximilian von Moor etwa wird nicht, wie häufig zu sehen, als ein hinfälliger Greis im Rollstuhl gezeigt, sondern stelzt hier auf hohen, silberglänzenden Kothurnen, die sich am Ende sein macht- und geldgieriger Sohn Franz unter die Füße schnallt und so demonstriert, dass er jetzt der Herr im Hause Moor ist.
Poesie und wüste Schimpfkanonaden
Aber wo anfangen, wo enden in dieser energiegeladenen, von anrührend poetischen und von wüsten Schimpfkanonaden bestimmten Inszenierung, die so spannend ist, dass es mucksmäuschenstill blieb im Theater? Viel ist zu spüren vom feurig-rebellischen Idealismus, der in den ambivalenten Helden dieses mörderischen Familienzwists steckt, und Regisseur Jurgons und sein Team lassen Franz, die verschlagene Kanaille, schon rein äußerlich eine Schofelgestalt sein: Intelligent, durchtrieben, bleich, skrupellos, brutal (als er Amalia von Edelreich, die Geliebte seines Bruders Karl, gewaltsam zu seiner Mätresse machen will), hinterlistig, zynisch und siegessicher („Herr muss ich sein”), so erobert er die Macht im Schloss und führt alle hinters Licht. Aber als er am Ende einsehen muss, dass er verloren hat, weil Karl den Schwindel aufdeckt, gibt er auf und schluckt Gift.
Wie Franz hat auch Amalia, – die einzige weibliche Rolle wird von Diana Ebert übernommen – die dem totgeglaubten Karl treu bleibt, ein klares Ziel. Weil Karl sich in dieser martialischen Schillerschen Horrorshow jedoch einem weltlichen Gericht stellen will, muss er Amalia töten als das Opfer, das er bringen will. Aber eher ist es wohl die Einsicht in die Sinnlosigkeit seiner Rebellion, die ihn zu dieser Selbstaufgabe treibt.
Verbotene Hiebe – respektvoll inszeniert
Deister- und Weserzeitung
Fesselnder Mix: Schillers „Räuber“ heute im Theater
Von Julia Marre
Hameln. Mondgelb leuchtet der Hase am Bühnenrand. Champagnerfarben ruht das familienfreundliche Sofa im beinahe leeren Raum – als Regisseur Michael Jurgons zu Beginn der Generalprobe gestern Abend auf die Bühne des Theaters Hameln tritt. „Es wird laut werden“, sagt er. Und es wird laut. Was bei weitem nicht nur daran liegt, dass Musiker Michael Reffi live im Rampenlicht trommelt, spielt, schlägt, summt und singt. Sondern auch daran, dass das Ensemble zwischen Krawall und Komasaufen einer Tragödie Heutigkeit einhaucht. Zwar haben Schillers stürmende, drängende „Räuber“ mehr als 200 Jahre auf dem Buckel; dieser Inszenierung jedoch ist das keineswegs anzumerken.
Die Lebenswelt der rüpelhaften Studenten, die zu studierten Rüpeln mutieren, ist ins 21. Jahrhundert übersetzt. Da steckt Spiegelberg (Cem Gültekin) in Batik-Shirt und Jogginghose, als er Prügel austeilt. Tragen die anderen Gauner Turnschuhe, farbige Shorts und Boxerstiefel – und erinnern dabei allesamt an eine gegenwärtige Bad-Taste-Partygesellschaft auf bewusstseinserweiternder Klassenfahrt. Ausgelassen getanzt wird zu Bob Marleys „Ion, Lion, Zion“. Ausgiebig besungen das Volkslied „Kein schöner Land“. Dass Amalia sich in jeder ausweglosen Situation eine Zigarette anzündet, ist nahezu selbstverständlich. Und auch nicht schlimm: weil es passt.
Charismatischer Räuberhauptmann
Franz Moor, die arme Wurst, gibt Gunnar Fietsch unberechenbar und wohlüberlegt als schleimigen Schleimer, der ebenso gut Intrigant aus einer Fernseh-Soap sein könnte. Patrick Abozens Karl Moor hingegen ist klug und ehrlich – ein charismatischer Räuberhauptmann mit Sinn für Gerechtigkeit und starker Bühnenpräsenz. Die im Übrigen das Gros der Schauspieler auszeichnet.
Zuweilen erinnert die Aufführung gar an Filme von Tarantino oder Kubrick. Manche Szenen irritieren, schocken. Andere bringen Humor ins Spiel. Musik und Gesang machen einen Schnitt – und ergeben eine fesselnde Mischung. Ob Gewalt hier verherrlicht wird? Wohl kaum. Auch wenn die Akteure Kunstblut spucken und Bühnentode sterben, so bleibt es doch meist bei der aussagekräftigen Andeutung – etwa wenn die brutale Schlacht ein reines Akustikgemetzel ist und von „Stomp“-ähnlichem Trommelwirbel auf Fässern symbolisiert wird. Der Spagat zwischen frischer, kraftvoller Inszenierung und respektvollem Umgang mit der dramatischen Geschichte ist gelungen – ohne Verluste.
„Ein alter Text ist für uns kein Schrottplatz“
Deister- und Weserzeitung
Michael Jurgons über seine Inszenierung
Herr Jurgons, die Theatermacher sind dafür bekannt, dass sie Stücke weder platt aktualisieren noch museale Werktreue schwören: Wie sind Sie bei Schillers „Räubern“ vorgegangen?
Die Uraufführung hat über vier Stunden gedauert – das möchte ich weder uns noch dem Zuschauer zumuten. Also haben wir das Material gekürzt. Gegen den Strich gebürstet wird es bei uns natürlich nicht: Beim Text sind wir zu 100 Prozent bei Schiller: Unsere Räuber sind von Schiller, nicht frei nach Schiller. Da wir ihn selbst nicht befragen konnten, haben wir seinen Intentionen sehr genau nachgeforscht. Ein alter Text ist für uns kein Schrottplatz, wo man sich Altteile holt und den Rest wegschmeißt. Aber natürlich ist jede Inszenierung eine Interpretation aus heutiger Sicht. Wie gelungen die ist, müssen letztlich die Zuschauer entscheiden.
Also welchen Ansatz verfolgen Sie?
Schiller war um die 20, als er das Stück schrieb. Er lebte in bedrückenden, engen Verhältnissen. Die Räuber sind sein sehr persönlicher, literarischer Befreiungsschlag. Junge Männer versuchen ihre Träume von Freiheit, Abenteuer und schönen Frauen auszuleben. Und verlieren die Kontrolle über ihr Tun.
Haben Sie das Drama schon einmal inszeniert?
Ja, am Ulmer Theater, das ist schon einige Jahre her. Aber die Sicht verändert sich. Das hat mit der ganzen Arbeit, mit der Form des Theaters zu tun. Unser Ensemble ist eine homogene Truppe; viele haben schon zusammen studiert und sind gemeinsam in den Beruf gestartet. Das ist ein spannendes Arbeitsfeld, wenn man auf bestehende Beziehungen aufbauen kann. Es macht die Arbeit authentischer, als das unter den Bedingungen des üblichen Theaterbetriebs möglich ist.
Was ist im Vergleich zu Ihrer damaligen Arbeit an der jetzigen „Räuber“-Inszenierung anders?
Alles. Die aktuelle Inszenierung ist körperlicher, schneller, energetisch aufgeladener. Sie drückt den Lebenshunger, die Vitalität ganz junger Leute unmittelbarer, direkter aus. Es geht mehr um Sehnsüchte und weniger um politische Konzepte.
Sie haben aus den Räubern also keine radikalen Globalisierungsgegner gemacht…?
Nein, sie sind weder RAF-Terroristen, noch sind sie Kommunisten oder Rocker. Unsere Räuber sind Getriebene ihrer Leidenschaften. Sie suchen das, was sie für Glück halten: Liebe, Macht, Wahrheit, und – schließlich sind sie Räuber – Geld.
Ihr Ansatz liegt demnach in der Zeitlosigkeit des Stoffes begründet?
Genau. Platt aktualisiert, wären die Räuber wohl Manager im Anzug, die Koffer und Handys bei sich tragen und vor einer Videoleinwand agieren. Unsere Räuber tun das nicht und sind trotzdem moderne Menschen. In unserer Hoffnung auf den großen Lottogewinn, die große Liebe oder besser beides, unterscheiden wir uns kein bisschen von unseren Vorfahren.
Kommentare zur Premiere von Schillers “Die Räuber” im Hamburger Sprechwerk
Quelle: Besucher-Blog des Hamburger Sprechwerks
“viel energie die von der bühne drang. fast vier stunden geballte kraft. wunderbare nebencharaktäre: cem, jonas, moritz!!! vielen dank dafür. die körperlichkeit – männerbande, wunderbar!! dann die musik! der barde, der auch schlagzeug spielt, ein traum!!! die schönste szene: gegen ende zwei unterhaltungen – auf dem sofa und vorn am bühnenrand. der fokus verschiebt sich akkustisch – großartig!!! schade dass der karl so leise geriet dass er in der letzten reihe kaum zu verstehen war und schade dass franz die worte atemlos schleuderte, so dass ich kaum mitkam und ihm manchmal schwer folgen konnte.”
“Ich fand es wirklich großartig! voller Energie gespielt und sehr mitreißend inszeniert! Besonders gut: der Franz, der Karl, der Vater und der Schlagzeugspieler…[…]“
“Ein animalischer Sinnesgenuss! Der Premierenabend ist mir sehr lebendig in Erinnerung – danke für die großartige Vorstellung! Kraftvoll spielten die Schauspieler, allesamt Absolventen oder Schüler der Schauspielschule Hamburg, nicht nur die Schlachtszene, in der stählerne Männerkörper auf nahezu animalische Weise auf blecherne Tonnen einschlugen. Die hierbei freigesetzte Energie gleicht der eines Stunden andauernden Gewitters, Donner inklusive. Wie passend ebenfalls der Schlagzeugsound als Zwischenbildmusik, ein besseres Instrument hätte zur Versinnbildlichung dieser vor Jugendlichkeit überstrotzenden Räuberbande nicht gefunden werden können. Hierin gleichen die Schauspieler merklich dem Autor des Stückes, der mit gerade einmal 22 Jahren ‘Die Räuber’ verfasste. Hervorzuheben ist auf musikalischer Ebene ebenso der zwei- bis vierstimmige Gesang des Ensembles, durch den gleich zu Beginn eine Atmosphäre geschaffen wird, der in den folgenden dreieinhalb Stunden nicht mehr zu entrinnen ist. Fast alle Charaktere sprühten einerseits vor individuellem Charme und Eigensinnigkeit – sei es der zum Schwäbeln verdonnerte Schufterle, das züngelnde Bandenmitglied oder der Akrobat. Andererseits ist eine immense Einheitlichkeit im Ausdruck und ein gemeinsamer Wille der Gruppe, aus der das Schauspiel viel an Kraft gewinnt, spürbar. Exzellent besetzt sind die Gebrüder Moor – was für ein Wortspiel im Falle von Patrick Abozen -, sie spielen voller Inbrunst und Überzeugung. Wenngleich viele originelle Regieideen dem Stück sehr zu Gute kommen, so wurde der Sinnesgenuss dieses Abends in einigen Szenen durch Übertreibung ins Schmalzige oder Plakative getrübt: Muss das Exen der Flasche wirklich sein? Es ist bereits vorher klar, welche Art von Bande dargestellt wird. Ist der Tango wirklich nötig? Geht es nicht etwas subtiler? Dennoch war es ein sehr kurzweiliger Abend mit gelungener Inszenierung und überzeugenden Darstellern.[…]“
“Ein großartiger Theaterabend! Friedrich Schiller, wäre er zu unserer Zeit aufgewachsen, hätte sicherlich seine Freude gehabt wie sein Gedankengut in die heutige Zeit transportiert worden ist. Die geballte Kraft mit der die einzelnen Charaktere herausgespielt wurden überzeugte.Es war für mich nicht nur unterhaltend (und das ist gut so) sondern auch anstrengend den vielen langen Dialogen zu folgen. Vielleicht würde eine behutsame Kürzung einiger Dialoge die Effektifität des zu transportierenden Themas begünstigen.”
Theater pur im Pfarrstadel
Schwäbische Zeitung
Von Karl-Heinz Schweigert
Reichenhofen – Wer am Samstagabend vom vhs-Tourneetheater nur einen ermüdenden Aufwasch des klassischen Lustspieles von Gotthold Ephraim Lessing erwartete, sah sich bald eines Besseren belehrt: Die “Theatermacher” aus Hamburg bereiteten das Stück in Regie und Inszenierung zeitgemäß zu einem beeindruckendes Spiel auf, das einen anhaltenden Schlussapplaus verdiente.
Die Väter des Erfolgs bei der vhs-Premiere sind zahlreich: Zum einen gewährte der Pfarrstadel dem flexiblen Ensemble genügend Aktionsraum, verbunden mit einer unmittelbaren Nähe zum Publikum und einer modernen Technik. Zum anderen verstand es Regisseur Michael Jurgons aufs Beste die Rollen seinem Team zuzuschneiden, was dieses dann in mitreißendem, ungekünsteltem Spiel mit ausgesuchten selbsterstellten Kostümen umsetzte.
Die bei Lessing starke Gewichtung der Frauen spiegelt sich auch in der Besetzung wider: Ungemein ausdrucksstark verkörperte Sigrid Schnückel den Major von Tellheim und Charlotte Ullrich die Minna von Barnhelm. Ihnen gleichwertig zur Seite standen Tomek Nowicki als treuer Adjutant wie Verena Unbehaun als “nicht unebenes Frauenzimmerchen”, deren rasante Sprechkaskaden allerdings inhaltlich nicht immer herüberkamen. Als ungemein verwandlungsfähiger “Mann mit der Pudelmütze” brillierte Axel Röhrle, in gleicher Weise mimikstark Cornelius Schwalm als leichtlebiger Soldat. Schließlich gefiel, wenn auch manchmal überzeichnend, John R. Carlson als virtuoser Pianist, Sänger und Patomime.
Komödiantisch bereiteten sie alle dem begeisterten Publikum einen vergnüglichen Abend, ersparten aber nicht hart kontrastierend in den Eingangs- und Schluss-Szenen die ständige Bedrohung von Frieden und Liebe durch Krieg und Gewalt.
Am Ende siegt die Liebe
Schwarzwälder Bote
Theatermacher brillieren mit “Minna von Barnhelm”
Villingen-Schwenningen (tri)
Lessings “Minna von Barnhelm” – vielleicht haben manche gedacht, dies 240 Jahre alte Stück um die Ehre eines abgedankten Offiziers sei veraltet. Die “Theatermacher”, eine Truppe freiberuflicher Schauspieler, bewiesen das Gegenteil.
Wenn heute ein ehrlicher Mann sein privates Geld ausgäbe, um denen, von denen er Steuern eintreiben soll, zu helfen – erhöbe sich da nicht sofort der Verdacht, er habe das aus egoistischer Berechnung getan, sei also korrupt? Und ganz besonders blüht Korruption in wirren Kriegs- und Nachkriegszeiten. Kampfgetöse am Anfang, der Klavierspieler steht als Tod mit der Sense in der Mitte der Bühne.
Unter Korruptionsverdacht steht Major von Tellheim (dargestellt von Sigrid Schnückel). Alle Verbitterung des zu Unrecht Verdächtigten spiegelt sich in ihm, und er glaubt, deswegen die von ihm geliebte Mitta nicht heiraten zu können. Vor einem nur angedeuteten Hintergrund mit der großen Leuchtschrift “Soldatenglück” agieren moderne Menschen, der rauhbeinige Offiziersbursche und der Wachtmeister ebenso wie der auf seinen Gewinn bedachte Gastwirt. Die Zeitlosigkeit des Geschehens wird untermalt durch John Carlsons Klavier-Begleitung, das Lied vom guten Kameraden ebenso wie das vom Maikäfer, der zum abgebrannten Pommerland fliegt, und natürlich Lilli Marleen, die hinter dem Vorhang hervor mit einem netzbestrumpften Bein winkt.
Und die Frauen, die da nach dem Krieg ihren Verlobten oder einen Freund suchen, deuten zwar in ihren Kostümen das 18. Jahrhundert an – aber es ist ja das ewige Spiel um beständige und opferbereite Liebe, verbunden mit Scherz und Neckerei bei Minna (Charlotte Ullrich) und ihrer temperamentvollen Zofe Franziska (Verena Unbehaun), die sich mit viel Koketterie und Witz ihren Wachtmeister angelt. Sehr bewegt, allen verfügbaren Raum nutzend spielen sie – und ihre Verführungskünste fesseln ihre Partner ebenso wie das Publikum.
Vielseitige Komik bringt Axel Röhrle ins Spiel – als Justs Pudel, als Freund, als Lilli Marleen, als perfekt französisch parlierender Glücksritter Riccaut de la Marlinière, als Minnas Onkel. Und während das komplizierte Spiel um das von Ehrgefühl und Liebe Erlaubte im Mittelpunkt steht, hockt der lange dünne Amerikaner Carlson auf seinem Klavier in der Ecke und grinst ironisch. Schauspielkunst, die an angelsächsische Tradition anknüpft: Sie setzen voll auf die Wirkung der Personen, mischen sich ins Publikum, spielen mit sehr viel Bewegung.
Die Verwicklungen drohen ins Tragische zu kippen; aber Minnas überlegener Humor kann schließlich Tellheim besiegen, und da auch der Korruptionsverdacht ausgeräumt wird, steht einem Happy-End nichts mehr im Wege. Doch diese von Michael Jurgons erarbeitete Inszenierung endet mit der Erinnerung, dass auch die sieghafte Liebe stets bedroht ist vom Kampfgetöse des Krieges. Das begeisterte Publikum dankte mit langem Applaus.
Viel Spaß mit einer ganz anderen “Minna”
Südwest-Presse
Mit Phantasie, Herz und viel Intelligenz
Für Zuschauer auch in drei Stunden Spieldauer kurzweilig
Villingen-Schwenningen – “Die Theatermacher” nennt sich die junge Truppe – das klingt nach Hingabe an dieses Metier. Von solcher Hingabe zeugte im Theater am Ring Lessings Lustspiel “Minna von Barnhelm”, das von Inszenierungs- und Spielfreude nur so sprühte, das mit Phantasie, Herz und viel Intelligenz auf den Punkt gebracht wurde und zugleich spannend unterhaltsam war. Diese “Minna” war trotz historisch angehauchter Kostüme und größter Werktreue so wenig verstaubt und mit so viel Witz versehen, dass auch die jungen Zuschauer ihre Freude daran gehabt haben dürften.
Der Untertitel des Lessing-Stücks lautet “Das Soldatenglück” – in großen Leuchtlettern überstrahlte dies die Bühne, wie ein Motto, das in den Turbulenzen des Geschehens leicht vergessen werden könnte. Davor schützt auch das Anfangs- und Schlussbild eines Schlachtfeldes, auf dem der Sensenmann umher wandert, untermalt vom grausigen Kriegsgetöse. Nur vor diesem Hintergrund ist ja erst möglich, was sich auf der Bühne abspielt: Nicht nur, weil es Wachtmeister gibt, die mit dem Leben im Frieden nicht mehr klar kommen, weil Gelder und Güter verloren gingen, weil trauernde Witwen ohne die gefallenen Ehemänner und Väter nicht mehr ein noch aus wissen; sondern auch, weil auf dem “Feld der Ehre” ganz besonders üppig die Deformierungen menschlichen (männlichen) Geistes und Empfindens durch die unterschütterlichen Maßgaben des Ehrbegriffs sprießen.
Der Major von Tellheim ist ein Exemplar, der sein ganzes Wesen an diesem Begriff ausgerichtet hat. Seine persönlichen Wünsche, seine wahren Gefühle, ja, seine ganze Individualität muss hinter seiner Ehre bzw. deren Kränkung zurück treten – so sehr, dass die übrig gebliebene personifizierte Idee ebenso gut von einer Frau gespielt werden kann. Bei einem Mann, der sowieso nur unerschütterlich seiner Rolle treu bleibt, macht das nicht wirklich einen Unterschied – außer, dass genau diese Rolle vielleicht noch prägnanter deutlich wird.
Reines Rollenspiel zeigte auch der Pudel, von dessen Treue der wackere Just berichtet, und der nun – erkennbar an der Mütze gleichen Namens – leibhaftig über die Bühne hechelte. Er verwandelte sich immer wieder, in den Spieler Riccaut, den alten Oheim, oder in passendem Gewand die beklagenswerte Witwe. Trotz des fraglos komödiantischen Effekts, den solche Auftritte haben, gelang es immer, das wahre Wesen der Personen heraus zu arbeiten, den hintergründigen Sinn und Ernst nicht zu vergessen. Hier wurde wahrlich Theater gemacht, indem die emanzipierte Minna und die süße, forsche Franziska durch ihre List die ganze fragwürdige Konstruktion von überzogenem Ehrenkodex und damit auch von vorgegebenene männlichen und weiblichen Rollenverteilungen gründlich ins Wanken geraten lassen konnten. Reisegepäck, zwei Tische, eine Bettdecke genügten als Möblierung, ein kleiner Vorhang und die viel benutzte Tür im Hintergrund schufen ein Innen und Außen. Der singende und Klavier spielende Musikant fungierte auch als Beobachter und Zuhörer am Rande, Auftritte erfolgten aus dem Zuschauerraum, manche aktuelle Anspielungen flossen in den Text ein, und immer mal wieder wurde fröhlich gesächselt.
Und unzähliche mimische, gestische und choreographische Einfälle machten die über drei Stunden Spieldauer kurzweilig und das Lustspiel so wirkungsvoll, wie sein genialer Autor es vor 235 Jahren verfasst hatte. Viel Applaus und die Hoffnung auf ein Wiedersehen mit den “Theatermachern.”
Ringen um Ehre und Liebe-und ein raffiniertes Verwirrspiel
Deister-und Weserzeitung Hameln
Hameln – (…) Mit großem schauspielerischem Ausdruck sowie unglaublicher Sicherheit im Sprachmuster damaliger Zeit begeisterte das siebenköpfige Ensemble (…). „In zehn Jahren ist Sie Frau Generalin oder Witwe“ formuliert Wachtmeister Werner am Ende nüchtern, der Franziskas Herz erobert hat. Ihn zieht es wieder in den Krieg – Soldatenglück? Und trotz Liebe schleicht sich dann erneut die Schreckenswelt des Krieges mit dem Sensenmann unter Kanonenhagel auf dem Schlachtfeld ins Bewußtsein.
Rund um diese Anfangs- und Schlusszene inszeniert Michael Jurgons eine erfrischende Neuauflage des 1763 geschriebenen Klassikers. Ein lebendiger dreistündiger Theaterabend, an dessen Ende langanhaltender, tosender Applaus steht.